von Denise Pätzold
Gesundheit & Ernährung
Was ist Pacing – und warum ist es bei CFS so wichtig?
Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS), auch als Myalgische Enzephalomyelitis (ME/CFS) bekannt, ist eine komplexe, oft entkräftende Erkrankung, bei der selbst geringe Belastungen zu einem sogenannten „Crash“ führen können – einer oft tagelangen Verschlechterung der Symptome. Eine zentrale Methode, um solchen Crashs vorzubeugen, ist das Pacing.
Pacing bedeutet wörtlich übersetzt „das richtige Tempo finden“. Im Kontext von CFS geht es darum, die eigenen Energiereserven klug zu managen, Überlastung zu vermeiden und Aktivitäten so zu gestalten, dass sie die Symptome nicht verschlimmern. Das Ziel: ein Gleichgewicht zwischen Aktivität und Ruhephasen – angepasst an die individuelle Belastbarkeit.
Diagnose von CFS (chronisches Fatigue-Syndrom bzw. ME/CFS)
Sowohl für Betroffene als auch für Ärzt:innen ist dies eine Herausforderung. Es gibt keinen einzelnen Bluttest oder Biomarker, der CFS eindeutig nachweist. Die Diagnose basiert auf einer Kombination aus Ausschlussdiagnostik, Krankengeschichte und spezifischen Kriterienkatalogen.
Hier eine Übersicht über den Ablauf der Diagnose:
1. Anamnese (ausführliche Krankengeschichte)
- Der Arzt oder die Ärztin fragt gezielt nach:
- Beginn und Verlauf der Beschwerden (plötzlich oder schleichend?)
- Art der Fatigue (körperlich, geistig, belastungsinduziert?)
- Erholung nach Belastung (wird es besser durch Schlaf? Meist nein.)
- Symptomverschlechterung nach Aktivität (PEM) – Post-Exertional Malaise ist das Leitsymptom bei CFS
CFS Symptome
- Schlafstörungen
- Konzentrationsprobleme („Brain Fog“)
- Muskel-/Gelenkschmerzen
- Kreislaufprobleme (Orthostase, Schwindel)
- Reizempfindlichkeit (Licht, Lärm)
- Schmerzsymptome
- Neurokognitive Symptome
- Neurologische oder autonome Störungen
- PEM (nach Aktivität)
- Nicht-erholsamer Schlaf
- Reduzierte Belastbarkeit
- Kognitive Beeinträchtigungen oder Orthostaseprobleme
Wenn diese Symptome mindestens 6 Monate bestehen und deutlich die Alltagstätigkeit einschränken, liegt sehr wahrscheinlich eine ME/CFS-Erkrankung vor.
2. Ausschluss anderer Erkrankungen
Da CFS viele Symptome mit anderen Erkrankungen teilt, müssen diese ausgeschlossen werden, z. B.:
- Schilddrüsenerkrankungen (TSH, fT3, fT4)
- Eisenmangel / Anämie (Hb, Ferritin)
- Diabetes mellitus (Blutzucker)
- Infektionen (EBV, Borreliose etc.)
- Schlafapnoe
- Depressionen / psychische Erkrankungen
Wie funktioniert Pacing im Alltag?
Pacing ist keine starre Methode, sondern ein dynamisches Selbstmanagement-Werkzeug. Es basiert auf dem genauen Beobachten der eigenen Energiekapazitäten, dem Anpassen von Aktivitäten sowie dem Einbau geplanter Ruhezeiten, bevor es zu einer Überforderung kommt.
Wer Pacing erfolgreich umsetzen will, braucht vor allem zwei Dinge: Selbstwahrnehmung und Struktur. Folgende Strategien helfen dabei:
Strategien für wirksames Aktivitäts- und Energiemanagement
1. Priorisieren
Nicht alles muss jetzt sein, nicht alles muss von dir kommen. Menschen mit CFS stehen täglich vor der Herausforderung, mit begrenzter Energie hauszuhalten. Hier hilft das Motto: „Was ist heute wirklich wichtig?“
Tipp: Erstelle eine Tagesliste mit „Must-Have“-, „Nice-to-Have“- und „Kann-warten“-Aktivitäten. Konzentriere dich bewusst nur auf die wichtigste Kategorie.
2. Fragen
Oft sind wir in sozialen oder familiären Rollen gefangen und übernehmen Aufgaben aus Gewohnheit. Es lohnt sich, regelmäßig zu hinterfragen:
- Muss ich das wirklich tun?
- Könnte das auch jemand anderes übernehmen?
- Welche Folgen hätte es, wenn ich es nicht mache?
Diese bewusste Reflexion schafft Spielraum für Erholung und vermeidet unnötige Energieverluste.
3. Delegieren
Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von klugem Selbstmanagement. Überlege: Welche Aufgaben kannst du delegieren – an Familie, Freunde oder externe Dienste?
- Beispiel: Einkäufe, Haushaltsarbeiten, organisatorische Aufgaben. Auch technische Hilfsmittel wie ein Online-Lieferdienst oder ein Timer für Aufgabenplanung können entlasten.
4. Abwechseln
Achte auf einen ausgewogenen Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeiten – körperlich, kognitiv und emotional. Zu viel von einer Sorte kann überfordern.
Praxis-Tipp: Nach einer geistig fordernden Aufgabe (z. B. E-Mails lesen) folge mit einer kurzen Meditation/ ruhigem Sitzen. Nach dem Zähneputzen im Stehen: eine Pause im Liegen.
5. Hinhören
Das eigene Körpersignal ist das wertvollste Feedback-Instrument. Erschöpfung kündigt sich oft subtil an: Druck hinter den Augen, Frösteln, Benommenheit, Reizempfindlichkeit.
Lerne, frühzeitig zu stoppen. Nicht erst beim totalen Energieeinbruch – sondern beim ersten Warnzeichen. Das ist kein Rückschritt, sondern Pacing in Aktion.
6. Verändern
Bleibe flexibel. Was gestern ging, kann heute zu viel sein. Pacing bedeutet, täglich neu zu bewerten: „Wie fühle ich mich heute? Was ist realistisch machbar?“
Auch äußere Strukturen können angepasst werden – z. B. kürzere Besuchszeiten, Homeoffice, geteilte Spaziergänge, ruhige Rückzugsräume.
Grenzen spüren und setzen: Das Crash-Risiko erkennen
Menschen mit CFS müssen lernen, ihre Leistungsgrenze (energy envelope) zu akzeptieren – auch wenn das emotional schwerfällt. Ein Crash droht, wenn diese Grenze überschritten wird. Typische Auslöser:
- Zu viele Termine oder Reize (Licht, Lärm, Gespräche)
- Zu wenig Ruhepausen
- Emotionale Überforderung
- Zu viel Ehrgeiz („Nur noch schnell …“)
Grenzen setzen heißt: Nein sagen – zu anderen und zu sich selbst. Das kann bedeuten, Einladungen abzusagen, Aufgaben ruhen zu lassen oder sich bewusst gegen sozialen Druck abzugrenzen.
Ressourcen aufbauen durch gezielte Erholung
Erholung ist kein Luxus, sondern medizinisch notwendig bei CFS. Dabei geht es nicht nur um Schlaf, sondern auch um aktive Schonung – also Pausen in reizarmen Umgebungen, ohne Ablenkung.
Hilfreiche Formen der Erholung:
- Stille Ruhezeiten im Liegen
- Meditative Atemübungen
- Musik hören (sanft, langsam)
- Geführte Körperreisen
- Entspannungsübungen wie die Progressive Muskelentspannung
- Naturbeobachtung (aus dem Fenster, im Garten)
Praktische Hilfsmittel für besseres Pacing
Aktivitätstagebuch
Ein schriftliches Protokoll über Aktivität, Symptome, Schlaf und Stimmung hilft, Muster zu erkennen. So kannst du Rückschlüsse ziehen: „Welche Belastung führte zu welchen Symptomen?“ – und daraus lernen.
Tipp: Halte täglich fest:
- Aktivitäten (Dauer, Art)
- Energielevel (Skala 1–10)
- Symptome (Art, Stärke)
- Pausen und Erholung
Pacing mit Herzfrequenzmessung
Viele Menschen mit ME/CFS profitieren vom Herzfrequenz-Pacing: Dabei wird die persönliche anaerobe Schwelle ermittelt (oft bei etwa 50–60 % der maximalen HF) – und durch Pulsmesser überwacht. So lässt sich körperliche Überlastung objektiv vermeiden.
Beispiel: Bei einer Schwelle von 100 Schlägen pro Minute, sollte jede Aktivität unter diesem Wert bleiben – auch Hausarbeit oder Duschen.
Weitere Pacing-Strategien im Überblick
- Time-Boxing: Aktivitäten zeitlich begrenzen (z. B. 10 Minuten lesen, 5 Minuten ruhen)
- Vorbereitung auf Belastung: Ruhephasen einplanen vor anstrengenden Ereignissen
- „Push-and-Crash“-Muster vermeiden: Nicht über eigene Grenzen gehen, auch wenn es mal „gut geht“
- Belastungspuffer einbauen: Immer etwas weniger machen, als theoretisch möglich wäre
- Selbstmitgefühl entwickeln: Sich nicht mit Gesunden vergleichen, sondern mit sich selbst im Wandel
Fazit: Pacing ist Selbstfürsorge in Aktion
Energiemanagement durch Pacing ist ein kraftvoller Weg, um mit CFS ein stabileres Leben zu führen – nicht durch „Leistung“, sondern durch kluge Schonung. Es fordert die Annahmen der eigenen Schwäche, Geduld, Achtsamkeit im Alltag und den Mut sich diesem zu stellen. Es kommt auf das Anpassen des eigenen Tempos an, um für sich eine neue Lebensqualität zurückzugewinnen.